Innovative Bühnenkunst – Theater, Tanz, Zirkus und alle nur erdenklichen Mischformen – war mehr als drei Wochen lang in Eupen zu sehen. Am Wochenende ging das „Scenario“ Theaterfestival zu Ende. Die Vielseitigkeit der Veranstaltung zeigte sich noch einmalmit dem Kammerspiel „Frau Storm“ des Théatre Universitaire Royal aus Lüttich.

Von Elli Brandt

Frau Storm kam auf die Bühne, und zwar Constanze, die erste Frau des vor rund 130 Jahren gestorbenen Schriftstellers. Ex-Ehemann Theodor erwartete sie schon, vor einem Laptop sitzend. Seine zweite Frau, Dorothea, habe sich verspätet, würde wohl nicht kommen, bemerkte Theodor. Constanze band sich ein weißes Häubchen um, holte eine Babywiege und den Kinderwagen. Theodor gesellte sich mal als historisch gekleidete Figur auf der Videowand hinzu, mal als Regisseur des Stücks.

„Den Schimmelreiter kenne ich“, sagte ein Zuschauer. Ein anderer erwähnte „Die Regentrude“. Und fast alle schienen „Knecht Rupprecht“ zu kennen: „Von drauß vom Walde komm‘ ich her; Ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!“ Über die Frauen des Schriftstellers hätten sie nie etwas gehört, verrieten Scenario-Gäste. Während des länger als eine Stunde dauernden Stücks erfuhren sie sehr deutlich, wie das Liebesleben der Storms ablief. Die Rolle von Mann und Frau zur damaligen Zeit war das zentrale Thema, doch das Stück vermittelte auch Einblicke in das Werk von Theodor Storm.

Das Stück vermittelt eine neue Sicht auf Theodor Storm

Von sieben Geburten und fast genauso vielen Fehlgeburten erzählte Constanze. Nach dem siebten Kind starb sie an Kindbettfieber. Im Dialog blickten Theodor und Constanze auf fast 20 Jahre Ehe zurück. Hausfrauliche Tüchtigkeit, Ordnung und Sauberkeit im Haus seien unerbittlich, fordert der Ehemann. Doch Theodor fordert noch mehr. Eine wirkliche Gesprächspartnerin soll Constanze dem Schriftsteller und Dichter sein. „Wenn du der Welt nützen willst, musst du mir nützen“, sagt er. Das sei ihre Weltpflicht. Von Überforderung spricht Constanze, und erzählt von schönen, innigen Momenten.

Eine neue Sicht auf Theodor Storm vermittelt das Stück, das Prof. Dr. Eckart Pastor und Regisseur Robert Germay gemeinsam auf die Bühne bringen. Die Rolle des Schriftstellers übernimmt Prof. Pastor selbst. Anita Wangen kommt als Constanze auf die Bühne. Nach der Aufführung im Kulturzentrum Alter Schlachthof nahmen sich Theatermacher und Publikum ausgiebig Zeit für ein Gespräch.

Ein Markenzeichen des Festivals „Scenario“ ist die Begegnung, die Nähe zwischen Publikum und Künstlern. Nach der Aufführung von „Ich schreie“ der Compagnie La SoupeCie aus Frankreich erzählte Najiba Sharif, Ex-Staatssekretärin aus Afghanistan, von dem Unrecht, das Frauen in ihrem Heimatland erleben. Der aus Kamerun geflohene Journalist Dominique Bela, dessen autobiografisches Stück „Le Chef est Chef, Même en Calecon“ während des Scenario Festivals Premiere feierte, wohnte als Gast zwei Wochen lang in Eupen, traf sich mit Schülern und Bewohnern des Asylbewerberzentrums Belle-Vue.

Es sei nicht einfach, Theaterproduktionen für ein kleines Kulturzentrum wie den Alten Schlachthof zu finden, erzählt Chantal Heck, Projektleiterin bei Chudoscnik Sunergia. Akrobaten bietet die Bühne nicht genug Raum in der Höhe. Tänzern und anderen Künstlern, die Raum für Bewegung brauchen, reicht weder die Breite noch die Tiefe der Bühne. „Doch das hat auch Vorteile“, sagt Chantal Heck. „Wir müssen viel unterwegs sein, dürfen uns viele Stücke ansehen, entdecken viele neue Sachen, lernen viele Künstler kennen.“ Und die Künstler kommen gern nach Eupen, freuen sich über die Nähe zum Publikum. Das diesjährige Scenario-Festival hatte neun Produktionen und 17 Aufführungen zu bieten. Rund 1.500 Besucher kamen. Schon jetzt laufen bei Chudoscnik Sunergia die Vorbereitungen auf Scenario im kommenden Jahr.

Auf ein vielseitiges Programm, auf aktuelle Themen, auf ernste und humorvolle Darbietungen dürfe sich das Publikum freuen, verspricht Chantal Heck. Ein umfangreiches Rahmenprogramm, Ausstellungen, Filme und Musik, werde ebenfalls wieder dabei sein.